Rostow
Foto: Rosatom
Das jüngste russische Atomkraftwerk
ging am 30. März 2001 in der südrussischen Don-Region ans
Netz. Der fast 1.000 Kilometer südlich von Moskau erbaute WWER-1000-Reaktor
ist nach der 200 Kilometer entferneten Millionenstadt Rostow benannt;
der Standort liegt jedoch in unmittelbarer Nähe (13 Kilometer)
der Großstädte Wolgodonsk und Zimljansk.
Im Jahr 1990 schien das Schicksal des Kraftwerks bereits besiegelt zu
sein. Am 26. Juni beugte sich der Ministerrat der UdSSR dem Druck der
Bevölkerung und der lokalen Behörden und ordnete für
das AKW Rostow einen Baustopp an. Zwei der ursprünglich projektierten
vier Blöcke wurden gänzlich gestrichen, die Blöcke 1
und 2, die zu diesem Zeitpunkt bereits zu 95 beziehungsweise 47 Prozent
fertiggestellt waren, wurden konserviert, um sie eventuell zu einem
späteren Zeitpunkt zu vollenden.
Nach Abschluss eines langjährigen Evaluationsverfahrens, das im
März 1995 auf den Weg gebracht wurde, gab Moskau schließlich
im Februar 2000 den Startschuss für die Wiederaufanhme der Bauarbeiten
an den zwei verbliebenen Reaktorblöcken. Zu den bis dato bereits
investierten 800 Millionen Dollar wurden so noch einmal rund 300 Millionen
Dollar fällig, die zum Teil von dem französischen Strommonopolisten
Electricite de France zur Verfügung gestellt wurden.
Die Behörden sowie die Betreiberfirma Rosatom begründen die
Inbetriebnahme des Kernkraftwerks mit der Aussicht, dass der Meiler
die Stromversorgungsprobleme der nördlichen Kaukasusregion sowie
der Städte Rostow und Wolgodonsk lösen werde. Es ist freilich
auch bekannt, dass das AKW Rostow das Kernstück eines russisch-amerikanischen
Projekts zur "Verarbeitung" waffenfähigen Plutoniums
in russischen Kernreaktoren darstellt.
Umweltschützer kritisieren den Standort des Kraftwerks. Die Projektierer,
so heißt es, hätten die Anlage in einer Region mit hoher
seismischer Aktivität und in unmittelbarer Nähe eines wichtigen
Staudamms erbaut. So ist die Zimljansker Talsperre sowohl der Kühlsee
des Atomkraftwerks als auch das Trinkwasserreservoir der gesamten Region
inklusive der Städte Zimljansk, Wolgodonsk und Rostow. Kritiker
befürchten, dass im Falle einer großen Explosion im Kernkraftwerk
der nahe gelegene Staudamm bersten könnte. Daraus entstünde
eine Flutwelle, die einen Teil der Millionenstadt Rostow wegspülen
würde.
Schenkt man diversen Umfragen Glauben, scheint die Bevölkerung
dem Kernkraftwerk kritisch gegenüber zu stehen. So lösten
schon eine Woche nach Inbetriebnahme des Kraftwerks Gerüchte über
eine Explosion und den Austritt von Radioaktivität eine Massenpanik
in Rostow aus. Vor den Apotheken bildeten sich Schlangen von Menschen,
die Jod erstehen wollten. Einige Bürger verließen fluchtartig
die Stadt, die einschlägigen Internetseiten lokaler Medien registrierten
am 2. März 2001 Besucherrekorde. Später stellte sich heraus,
dass sich beim Anfahren des Reaktors nicht etwa eine Explosion, sondern
vielmehr ein relativ unbedeutender Störfall ereignet hatte. Erst
nachdem die Kraftwerksleitung der Vorfall vertuschen wollte, kamen jene
Gerüchte auf, die wenig später zu der Hysterie führten.
Die Inbetriebnahme des zweiten Reaktorblocks ist für das Jahr 2003
vorgesehen.
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