Kursk
Foto: Rosatom
Ein weiteres Hochrisko-AKW steht etwa
40 Kilometer südöstlich der Millionenstadt Kursk in Westrussland,
am Ufer des Seym-Flusses. Der Grund: was hier Strom produziert, sind
vier RBMK-1000-Reaktorblöcke aus der gleichen Generation wie der
RBMK, der am 26. April 1986 in Tschernobyl explodierte.
Der Aufbau des Kraftwerks ist ebenfalls mit dem in Tschernobyl identisch:
jeweils zwei Blöcke bilden eine Einheit, in der teilweise auch
Sicherheitssysteme gemeinsam benutzt werden. Die Blöcke der ersten
Einheit, 1 und 2, wurden 1976 bzw. 1978 in Betrieb genommen, die zweite
Einheit (Blöcke 3 und 4) in den Jahren 1983 und 1985.
Rund 30 Prozent der im AKW Kursk produzierten Energie wird genutzt,
um die Bedürfnisse des Regierungsbezirkes Kursk zu befriedigen,
mit dem verbleibenden Anteil werden Stromverteiler-Systeme gespeist,
die 19 Regionen (hauptsächlich in Zentralrussland) mit Strom versorgen.
An diesem Faktum wird deutlich, welche Bedeutung die vier RBMK-Blöcke
von Kursk für die Stromversorgung weiter Teile der Region haben,
summiert sich ihre installierte elektrische Leistung doch auf 4000 Megawatt,
womit Kursk zu den größten Atomanlagen der Welt zählt.
Seit 1986 wird in Kursk sogar noch an einer Erweiterung, einem fünften
RBMK-1000-Block gearbeitet, der nach Aussagen von "Rosatom",
des staatlichen Betreibers aller russischen Kernkraftwerke, "benötigt
wird, um eine stabile und verlässliche Stromversorgung Zentralrusslands
zu gewährleisten."
Dass jenes Projekt nicht gleich nach dem Tschernobyl-Desaster eingestellt
wurde, ist erstaunlich, da die damalige Sowjetregierung eigentlich ein
Baumoratorium für alle RBMK-Reaktoren (so auch für jene in
Tschernobyl-5 bzw. Tschernobyl-6) veranlasst hatte. Die russische Regierung
unter Jelzin nahm die Arbeiten aber wieder auf und investierte in die
Baustelle von Kursk-5.
Ob es aber jemals zu einer Inbetriebnahme kommt, ist mehr als fraglich.
Neben den politischen Schwierigkeiten, an der Westgrenze des Landes
einen RBMK in Betrieb zu nehmen, ist auch kein praktischer Nutzen zu
erkennen, denn in ganz Russland sinken seit Jahren die Produktionskapazitäten
noch stärker ab wie die Geburtenrate. In Zeiten sinkender Auslastung
bestehender Kraftwerke besteht nach Meinung kritischer Experten überhaupt
kein Bedarf, einen neuen Hochrisiko-Reaktor in Betrieb zu nehmen. Die
russische Seite argumentiert mit dem Versprechen, im Gegenzug die beiden
ältesten Reaktoren 2006 bzw. 2008 stillzulegen.
Festzuhalten bleibt: das gefährliche Reaktordesign im Verbindung
mit der geographischen Nähe zu dichtbesiedelten Regionen und einer
Millionenstadt führen zu der Einstufung in Risko-Klasse 4. In Kursk
wird nukleares Vabanque gespielt, und die Aussicht, dass ein neuer RBMK
etwa bis ins Jahr 2045 am Netz bleiben würde, trägt nicht
unbedingt dazu bei, die Sicherheitsbedenken bezüglich der Anlage
von Kursk zu zerstreuen.
Kleine Schlussnotiz am Rande: wer das AKW Kursk einmal "in natura"
betrachten möchte, sollte sich den Hollywood-Film "Tschernobyl
- Die letzte Warnung" mit Jon Voight ansehen. Wegen der optischen
Ähnlichkeit mit dem Pendant in Tschernobyl (gleiche Reaktoren,
gleicher Einheiten-Aufbau, gleiches Aussehen dank des charakteristischen
Kamins) wählten die Produzenten nämlich Kursk als Drehort
für ihren Film über die Katastrophe von Tschernobyl, da der
Originalschauplatz aus nachvollziehbaren Gründen ja nicht zur Verfügung
stand.
|