Ignalina
In Ignalina, im Nordosten der Republik
Litauen, stehen die beiden mächtigsten Kernkraftwerksblöcke
weltweit - gigantische RBMK-Konstruktionen mit einer Leistung von nicht
weniger als 1500 MW.
Obwohl erst in den 80er Jahren in Betrieb genommen, gehört Ignalina
zu den gefährlichsten Anlagen weltweit, denn beim Bau wurden aus
Zeitgründen wichtige Sicherheitseinrichtungen einfach nicht eingebaut;
es war den Betreibern wichtiger, den Plan zu erfüllen und die damit
verbundenen Erfolgsprämien zu kassieren.
Ganz konkret fehlen Hubeinrichtungen
zum Austauschen defekter Leitungen, ebenso Kontrollinstrumente für
die Röhreninspektion, und die Dampfseparatoren wurden so plaziert,
dass man sie nicht mehr austauschen kann, obwohl das üblicherweise
alle fünf Jahre geschehen sollte. Mittlerweile sind sie so porös
geworden, dass sie das Wasser nicht mehr vollständig separieren
können und der Dampf somit "hart" wird. Der Wasserdampf
könnte folglich die Turbinenblätter zerstören und so
in das Maschinenhaus gelangen, wo es sodann in Reaktion mit dem dort
vorhandenen Sauerstoff zu einer Knallgasexplosion kommen könnte.
Die Folge wäre ein Brand im Atomkraftwerk.
Dies sind nur einige der Ignalina-spezifischen Baumängel; Für
die nötige Aufrüstung / Reparatur müßte das Dach
abgenommen werden (!); neben den Kosten von mehreren Hundert Millionen
Dollar würde diese Aktion das Kraftwerk zwei Jahre lang lahmlegen
- außer man betreibt den Reaktor unter freiem Himmel.
Doch eine solche Reparatur kommt für das kleine Litauen nicht in
Frage. Ignalina deckt nicht weniger als 80% des landesweiten Strombedarfs,
ja das Land ist sogar in der Lage, Strom gegen harte Devisen ins Ausland
zu exportieren. Kein Land weltweit hat einen höhren Atomstromanteil
an seinem Energiemix.
Dank des Zerfalls der Sowjetunion kam Litauen, ein Land ohne jegliche
nukleare Erfahrung, in den Besitz dieses mächtigen Kernkraftwerks.
Brüssel fordert als Bedingung für einen EU-Beitritt Litauens
die Stillegung von Ignalina. Der Plan: Block 1 soll 2005, Block 2 im
Jahr 2009 endgültig abgeschaltet werden. Litauen fordert mehrere
Milliarden Mark Entschädigung - verständlich, denn sollte
Ignalina tatsächlich vom Netz gehen, gingen in Litauen wirklich
die Lichter aus - das kleine Land ist von seinem Kernkraftwerk abhängig
.
Doch der Einsatz für dieses "Atom-Roulette" ist hoch:
Ein etwaiger Super-GAU in Ignalina würde das komplette Land wohl
unbewohnbar machen, Großstädte wie Minsk, Riga, St. Petersburg,
Helsinki, Stockholm, Warschau und Berlin befinden sich im Gefahrenbereich.
1994 drohten Terroristen gar mit einem Anschlag auf das Kraftwerk, bis
heute ein Novum in der (offiziellen) Geschichte der Atomenergie - sie
wollten einen lokalen Mafia-Boss aus der Haft freipressen.
Seit 1992 ist es in Ignalina auch immer wieder zu Leckagen gekommen,
bei denen radioaktive Flüssigkeit in die Umwelt geriet. Im Oktober
1992 drohte gar eine Havarie, die im letzten Moment abgewendet werden
konnte.
Seitdem hält sich hartnäckig
das Gerücht, dass sich die AKW-Leitung gelegentlich eines Hellsehers
bedient, der Löcher in den Rohrleitungen frühzeitig erahnen
soll.
|