Kosloduj
Die sechs Reaktoren der riesigen Atomanlage
von Kosloduj, 150 Kilometer nördlich von Sofia an der Donau gelegen,
gelten spätestens seit der politischen Öffnung 1990 als nukleare
Zeitbombe. In diesem Jahr wurde das bulgarische Kernkraftwerk erstmals
von Inspektoren der IAEO inspiziert - das Ergebnis war erschreckend,
die Experten entsetzt: Noch nie zuvor war die Beurteilung eines Atomkraftwerks
so vernichtend ausgefallen wie in Kosloduj.
Die beiden ältesten Blöcke (1974 und 1975 ans Netz gegangen)
hatten nicht einmal einen getrennten Notkühlkreislauf, ihre Notstromversorgung
war unzureichend, es gab kein Containment, und mindestens einmal war
das Grundwasser radioaktiv kontaminiert worden. Außerdem war der
Brandschutz der gesamten Anlage vollkommen unzureichend - Brandschutztüren
schlossen nicht, und der Kontrollraum von Block 2 hatte gar nur eine
Holztür.
Mit westlicher Hilfe wurden in den Folgejahren die schlimmsten Mängel
beseitigt, doch die Konstruktionsmängel bleiben.
Bedingt durch schlechte Wartung verschlechterte sich der technische
Zustand der Anlage bis heute noch weiter. Geborstene Rohrleitungen wurden
nur notdürftig zusammengeschweißt, das Leitungssytem sprudelt
vor Lecks, und die Werksfeuerwehr wäre wohl nicht mehr in der Lage,
einen Großbrand zu löschen.
Im Jahr 1995 erschien in der sicherlich nicht als allzu atomkritisch
geltenden FAZ ein Artikel mit der Überschrift: "Kosloduj -
Super-Gau wahrscheinlich", was ein Indiz dafür ist, dass die
westlichen Hilfsprogramme von Anfang der 90er Jahre nur ein Tropfen
auf den heißen Stein waren.
Obwohl das Kraftwerk 40% des bulgarischen Strombedarfs deckt, hat sich
Sofia mittlerweile dem westlichen Druck gebeugt und zumindest die Abschaltung
der vier älteren Blöcke, allesamt vom Typ WWER 440/ 230, angekündigt.
Die beiden ältesten Blöcke wurden zum Jahreswechsel 2002/2003
abgeschaltet, die Blöcke 3 und 4, 1981 bzw. 1982 in Betrieb genommen,
sollen im Jahr 2006 folgen. Die Blöcke 5 und 6, vom moderneren
Typ WWER 1000, gingen jedoch erst 1989 und 1993 in Betrieb. Für
ihre Abschaltung gibt es noch keinen Zeitplan, sie werden wohl noch
bis mindestens 2010 Atomstrom liefern.
Zumindest solange die beiden verbliebenen alten WWER 440/230-Blöcke
noch aktiv sind, zählt Kosloduj zu den fünf gefährlichsten
Atomkraftwerken Europas.
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